Von der Volksschule zum Mehrgenerationenhaus
In den Jahren 2009 bis 2010 wurde aus der ehemaligen Volks- und Grundschule Bad Neuenahr in der Weststraße 6 das Haus der Familie Bad Neuenahr-Ahrweiler – Mehrgenerationenhaus im Kreis Ahrweiler. Die neue öffentliche Einrichtung wird nach umfangreichen Sanierungs‑, Erweiterungs- und Umbauarbeiten am 20.02.2010 gemeinsam mit einer Vielzahl von Gästen durch Herrn Bürgermeister Dr. Hans- Ulrich Tappe offiziell eröffnet, durch die Vertreter der katholischen und evangelischen Kirche ökumenisch eingesegnet und damit seiner neuen Bestimmung übergeben: ein Zentrum für generationenübergreifende Bildungs‑, Beratungs‑, Begegnungs- und Veranstaltungsangebote.
Das sicher von vielen Menschen als erhaltenswert eingestufte, aber nicht unter Denkmalschutz stehende Gebäude mitten im Zentrum des Stadtteiles Bad Neuenahr hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Die jeweilige Nutzung des Gebäudes ist dabei immer verbunden gewesen mit der gesellschaftlichen Entwicklung. Mit der neuen Zielsetzung schließt sich nunmehr der Kreis in der Verwendung des ursprünglich als Volksschule errichteten Gebäudes.
Der nachfolgende Beitrag skizziert die Geschichte des Gebäudes und damit des Volksschulwesens in Bad Neuenahr sowie die Konzeption des Mehrgenerationenhauses.
Betrachtet man das Gebäude des jetzigen Mehrgenerationenhauses des Jahres 2010, so erkennt man – und dies ist so gewollt – drei Bauabschnitte: Zum einen den Gebäudeteil der alten Volksschule, erbaut in den Jahre 1906/07. Zum zweiten erkennt man den Westflügel als Anbau der Volksschule erbaut 1956/57. Der dritte, aktuelle Bauabschnitt umfasst die Generalsanierung, den Umbau zur heutigen Nutzung sowie moderne Anbauten im Süd- und Ostteil des Gebäudekomplexes.
Das Volksschulwesen in Bad Neuenahr – Eine Zeitaufnahme aus den Jahren 1906/07
„Im Jahre 1906 beschloss der Gemeinderat den Bau einer neuen Schule, zunächst für 6 Knabenklassen und Schuldienerwohnung an der Weststrasse. Der Bau ist mit Zentralheizung versehen. Brausebäder sind eingerichtet, die Einrichtung ist nach den neuesten Erfahrungen erfolgt“, so die knappen Ausführungen aus dem Berichtsbuch „Die Gemeinde Neuenahr 1857 – 1907“, bearbeitet 1908 im Auftrage des Gemeinderates von Neuenahr durch Bürgermeister Faulhaber.
Diese sachliche nüchterne Diktion verrät nichts über den qualitativen Quantensprung, den dieser Neubau für die Schuljugend Bad Neuenahrs darstellte. Deutlich wird dieser, wenn man sich die Zeit- und Lebensumstände des Jahres 1907 verdeutlicht sowie die Vorgänger- Schulbauten und deren Ausstattung sich vor Augen führt. Unsere Region gehörte seit 1815 zur preußischen Rheinprovinz. Die Preußen führten 1825 die allgemeine Schulpflicht ein. Damit wurde der Schulbesuch Pflicht, und allmählich verbesserte sich das Schulwesen auch auf den Dörfern und den kleinen Städten. Wenngleich diese Schulreformen zum Besseren hin, zeitlich dauerten und nach Region und Finanzkraft sehr unterschiedlich waren, stellten diese jedoch eine wesentliche Verbesserung gegenüber der Vor-Preußischen Zeit dar. Man konnte vor 1815 auf dem flachen Lande sogar von chaotischen Schulverhältnissen sprechen: „ Wo es Schulstuben gab, mussten sie häufig mehrere Funktionen erfüllen: sie waren auch Lehrerwohnung oder Werkstatt, in denen der Lehrer während des Unterrichts noch einem Handwerk nachging. Es war auch keine Seltenheit, dass hier der Lehrer auch sein Federvieh hütete und seine Frau die Wäsche aufspannte. Nicht immer gab es für die Schüler Tische und Bänke, und selbst einfachste Lehrmittel waren nicht vorhanden.“ So die plastische Schilderung aus der Schrift: „Schulerziehung auf dem Lande“.
1786 baute die Gemeinde Wadenheim — an der heutigen Hauptstraße gelegen, auf dem Grundstück des jetzigen alten Rathauses — ein Schul- und Vikariehaus. Ein Schullehrer mit Name Peter Steinborn war dort bis 1804 tätig. Eine gewisse Popularität genoss in der Gemeinde Wadenheim Lehrer Weller, der ab 1841 die hiesigen Schulkinder unterrichtete, wenngleich der zuständige Schulrat dessen Leistungen aufgrund von Schulrevisionen eher negativ bewertete. Im Jahre 1857 unterrichteten 2 Lehrer an der katholischen Volksschule 220 Kinder. Nähunterricht erteilte eine zusätzlich angestellte Nählehrerin. In den Folgejahren bis 1907 wurde das Kollegium der Volksschule sukzessive erweitert. Im Jahre 1907 unterrichteten insgesamt 5 Lehrer und 5 Lehrerinnen 307 Jungen und 314 Mädchen, insgesamt 621 Kinder, davon waren 582 katholisch, 33 evangelisch und 6 jüdischen Glaubens. Die Ausgaben der Gemeinde Neuenahr beliefen sich auf 22.509,40 Mark. Am 19. August 1907 zogen vier Knabenklassen und eine gemischte Klasse in das neue Schulgebäude ein. Neben der 1907 errichteten Knabenschule existierte weiterhin das 1867 gebaute Schulgebäude in der Knielsgasse, der heutigen Telegrafenstraße. Infolge ihrer Nutzung wurde diese von den Neuenahrern als „os ahl Mädcheschull en de Telejrawestroß“ betitelt. Philipp Bichler, ein Neuenahrer Original wusste über die Mädcheschull viel zu berichten, z.B. über eine Lehrerin mit Namen Fräulein Clever, die 38 Jahre an dieser Schule unterrichtete. „Wenn se dat jraue Kleid anhatt, dann woßte meh, dat se schlääch jelaunt woa.“ Fräulein Therese Clever verstarb am 6.11.1934 und fand auf dem Neuenahrer Friedhof ihre letzte Ruhestätte. 1964 wurde das Gebäude der Mädcheschull abgerissen, das über Generationen hinweg den Neuenahrer Schülern eine Heimstatt war. Darüber hinaus diente das Gebäude als Depot der Freiwilligen Feuerwehr und wie sinnreich: hinter dem Gebäude war das Neuenahrer Kittchen, die Arrestzellen für Straftäter. Zugleich fanden die Einschulungsfeiern für die Erstklässler bis in die 60 er Jahre des letzten Jahrhunderts auch für die Jungen in der Mädcheschull statt.
Die Einweihung des neuen Volksschulgebäudes in der Weststraße fand in der örtlichen Presse kaum Resonanz, im Gegensatz zu den Einweihungsfestlichkeiten des Progymnasiums Ahrweiler-Neuenahr am 14. Oktober 1907. Der Ahrweiler Bürgermeister Blume lud namens des Kuratoriums die gesamte Bürgerschaft der Stadtgemeinde Ahrweiler und die der Bürgermeisterei Neuenahr zu „dieser Feier ergebenst ein“. Neuenahr engagierte sich finanziell beim Bau des Progymnasiums an der Wilhelmstraße, wobei der Neuenahrer Bürgermeister Faulhaber seinen Amtskollegen Blume aus Ahrweiler sehr wertschätzte und darüber hinaus kommunalpolitischen Weitblick bewies. In der Festbeilage der Ahrweiler Zeitung vom 17. Oktober 1907 wird der Neuenahrer Bürgermeister zitiert: „ Meine Herrn! Gestatten Sie mir als gutem Nachbar einige Worte, und zwar den Dank an das Kuratorium der Schule zum Ausdruck zu bringen, in dem besonders die Herrn San-Rat Dr. von Ehrenwall und Leopold Kreuzberg so viel geleistet haben. Da aber bei jeder Sache eine Spitze sein muß, will ich auch dieser vor allem gedenken. Diese Spitze war Herr Bürgermeister Blume. Selbst als er krank war, hat er unter Hintansetzung seiner Gesundheit mitgearbeitet. Ich als Vertreter der Landbürgermeisterei Neuenahr kann das wohl richtig einschätzen. Diese beiden Gemeinden, die so dicht aneinander stoßen – die Neuenahrer Grenze geht nahe am Ahrweiler Bahnhof vorbei (Heiterkeit) – sie haben in der Schulfrage gemeinsame Interessen. Aber wir haben noch mehr gemeinsame Interessen und ich glaube, dass wir noch bei vielen Sachen zusammenarbeiten werden und auch müssen. Für beide Teile wird nur gutes dabei herauskommen…“ Prägende Leitbegriffe des pädagogischen Konzepts, dies verdeutlichen die Festansprachen, waren den Zeitumständen gemäß „echte Wissenschaft, wahre Religiosität, glühende Vaterlandsliebe und edle Sitte“. So führte Bürgermeister Blume 1907 aus: „Denn was nutzt alle Wissenschaft, wenn es an der wahren Herzensbildung und der kindlichen Frömmigkeit des Gemütes fehlt. Und wie kann andererseits ein junger Mann als reif für das Leben hinausgeschickt werden, wenn ihn nicht eine echte und schöne Vaterslandsliebe, die Liebe zu Kaiser und Reich mit der Wärme eines inneren Feuers durchglüht. Wird die Schule diese ihr vorgesteckten Zielen gerecht, so wird und muß sie wachsen, blühen und gedeihen und dadurch zu einer Quelle des Segens werden für unser geliebtes, herrliches Ahrtal, zu einer Quelle des Segens für das uns alle umfassende große deutsche Vaterland! Das walte Gott.“ Jene Paradigmen waren in der Kaiserzeit auch im Volksschulwesen gültig, wobei zusätzlich die Heimatkunde einen zentralen Stellenwert einnahm. Die sogenannte „Vaterländische Erziehung“ wurde sehr deutlich anlässlich der jährlich stattfindenden Feiern zu Kaisers Geburtstag. Die Ahrweiler Zeitung berichtete am 29. Januar 1907 aus dem Heilbade Neuenahr: „Die Kaisergeburtstagsfeier in den Schulen verlief in der herkömmlichen Weise. Die katholischen Schulklassen fanden sich am Samstag im großen Saale des goldenen Pflug ein, wo bei Gesang und Deklamationen des Landesvaters gedacht wurde. Die Festrede hielt Herr Lehrer Höver, worauf die Verteilung der Kaiserwecken stattfand. Diese alte Sitte findet immer wieder den Beifall der Kinder. Natürlich dürfen diese Wecken nicht zu klein ausfallen.“
Trennung nach Konfession und Geschlecht
Das Schulgebäude in der Weststraße wurde zunächst immer mit der Katholischen Volksschule gleichgesetzt. Der Vorläufer der Evangelischen Volksschule war eine 1872 gegründete Privatschule mit Namen „Evangelische Familienschule“, unter Trägerschaft der Kirchengemeinde. Unterrichtet wurden die Kinder durch die Lehrerin M. Sievers, die 1897 in den Ruhestand ging. In jener Zeit lag die Schülerzahl knapp über 20 Kinder, da auch Schüler jüdischen Glaubens diese Schule besuchten. Schließlich gelang es, dass die Regierung einen staatlich anerkannten Lehrer nach Neuenahr schickte und die Gemeinde sich bereit erklärte, die Personalkosten für den Lehrer und bestimmte Sachkosten zu übernehmen. Jedoch musste die evangelische Kirchengemeinde weiterhin einen Schulraum mit Einrichtung zur Verfügung stellen. Damit war auch offiziell aus der Evangelischen Familienschule die „Evangelische Volksschule“ geworden. Diese unterstand als selbständige Einrichtung der staatlichen Schulaufsicht. Lehrer und Schulleiter wurde für viele Jahre der Pädagoge Peter Knoblauch. Das Jahr 1907 war für die Entwicklung der Evangelischen Volksschule deshalb so bedeutsam, insofern die Gemeinde nun bereit war, alle Schulkosten zu übernehmen. Daher fand der Umzug dieser Schule aus dem evangelischen Gemeindehaus in die Mädchenschule in der Telegrafenstraße statt. Dort bezog man einen Klassenraum. Im Jahre 1909 wechselte man schließlich in das neue Schulgebäude in der Weststraße und erhielt hier einen eigenen Klassenraum.
In diesem Gebäude bleib man bis 1939 als selbständige einklassige Evangelische Volksschule. In der NS-Zeit wurden durch „Gesetz“ die konfessionellen Schulen aufgelöst. Die katholischen und evangelischen Kinder besuchten nun eine Volksschule, deren Bezeichnung „Deutsche Gemeinschaftsschule“ war. Die Etablierung dieser Schule wurde von einer nationalsozialistisch ausgerichteten Pädagogik geprägt. Hiermit gingen einher die ideologische Überprüfung, „Säuberung“ und Gleichschaltung der Lehrerschaft. Des weiteren wurden Unterrichtsinhalte neu akzentuiert, „Vererbungs- und Rassenkunde“ wurde zu der Leitlinie aller Fächer. Die Ausgrenzung der Schüler jüdischen Glaubens erreichte einen ersten traurigen Höhepunkt nach den Judenpogromen im Jahre 1938 im gänzlichen Verbot „deutsche Schulen“ zu besuchen. Nähere Informationen über das Schulwesen in der NS-Zeit sowie die menschenverachtende NS-Politik finden sich im Band 2 des Studienbuches zur Kreisgeschichte „Kreis Ahrweiler unter dem Hakenkreuz“.
Nach Hauptlehrer Wagner folgte 1911 als Rektor der Katholischen Schule bzw. der Deutschen Gemeinschaftsschule Friedrich Wilhelm Weber. Er übte sein Amt bis 1944 aus. Bezüglich der konfessionellen Trennung in der „Knabenschule“ in der Weststraße machte sich das Neuenahrer Original Philipp Bichler so seine Gedanken: „ Mir en de Jongeschull hatten doch streng no de Relijun jetrennte Toiletten. Mir hatten oß eijene Abtredde on die andere och ihr eijene. Dat wued alles streng ousenande jehahle. Wat könnt do für en Ondeschied senn? De Witsche Schäng on ech senn dann ens, wie keine Evangelische en de Nöh woare, da ens spinxe jejange. Meh konnten äwe keine Ondeschied faßstelle“.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam 1945 der Schulbetrieb unter der Leitung von Rektor Franz Külzer am 1.Oktober zunächst nur schleppend in Gang. Zwar waren die Schulgebäude in Bad Neuenahr unzerstört geblieben, aber die Unterrichtsversorgung mit Lehrkräften war alles andere als einfach. Der politische Neuanfang in einem demokratischen Sinne manifestierte sich in ersten Gemeinde- und Kreistagswahlen 1946 sowie 1. Landtagswahl des neuen Landes Rheinland-Pfalz am 18. Mai 1947. Damit verbunden waren Abstimmungen über die Landesverfassung und die Schulartikel, die aufgrund des konfessionell ausgerichteten Schulwesens besonders umstritten waren. Während auf Landesebene knappe 50,4% für eine konfessionell getrennte Volksschule stimmten, waren es im Kreis Ahrweiler 84,7% der Stimmen.
Zunächst stand in Bad Neuenahr keine evangelische Lehrkraft zur Verfügung. Dies änderte sich erst am 1. November 1948 mit der Einrichtung einer evangelischen Volksschule, die einklassig mit 5o Kindern zu führen war. Durch den verstärkten Zuzug nach Bad Neuenahr stiegen die Schülerzahlen von Kindern mit evangelischem Glaubensbekenntnis an. 1950 wurde die Evangelische. Schule zweiklassig, 1954 waren es schon 111 Kinder, die Schule blieb aber zweizügig, da es an Lehrkräften fehlte. 1957 trat eine dritte Lehrkraft an der Evangelische Schule den Dienst an. Infolge der zunehmenden Schülerzahlen herrschte nun enormer Platzmangel in den beiden Neuenahrer Schulgebäuden. So entschloss sich der Stadtrat vier Klassenräume an das 1907 erbaute Schulhaus anzubauen. Am 10. September 1957 konnte der neue Westflügel seiner Bestimmung übergeben werden. Er umfaste auf 2 Etagen 4 Klassenräume, davon zwei mit Gruppenraum, zwei Schulleiterzimmer und Toilettenanlagen. Je 2 Klassenräume erhielt die Kath. Volksschule und die Evangelische Volksschule. Die Leitung der Katholischen Volksschule oblag seit 16. April 1957 Rektor Jakob Reß, Schulleiter Otto Kanngießer führte die Evangelische Volksschule.
Von der Volksschule zur Grund- und Hauptschule
Generell nahmen die Schülerzahlen in Bad Neuenahr stetig zu. Insbesondere durch die Einrichtung von Dienststellen der Bundeswehr stieg die Schülerzahl mit evangelischem Glaubensbekenntnis rasant an, somit wurde die Evangelische Volksschule 1959 vierklassig, 1964 sogar fünfklassig. So entschied sich der Stadtrat von Bad Neuenahr zum Bau einer neuen Volksschule an der Weststraße-Hemmesser Straße gelegen. „Bad Neuenahr hat seine neue Volksschule – Ein gediegener, formschöner und zweckmäßiger Schulbau ist für unsere Jugend und für die kommende Generation fertiggestellt“, so titelte in ihrer Überschrift die Bad Neuenahrer Chronik am 10. Juli 1964. Von den zehn Klassenräumen des Neubaus in der Weststraße 27 übernahm die Katholische Volksschule sechs Räume im Ost-Westtrakt. Vier Klassenräume gehörten im Nord-Südtrakt der Evangelischen Volksschule. Eine Klasse der Evangelischen Volksschule verblieb in ihrem Klassenraum im alten Volksschulgebäude des Jahres 1907. Schulleiter Kanngießer kommentierte dies lapidar: „Schade!“ Verständlich war eine solche Äußerung, denn die Konzeption dieses neuen Schulgebäudes erwies sich für die noch anstehenden Schulreformen als überaus zukunftsfähig.
Rektor Josef Müller aus Ahrweiler führte seit dem 1. September 1962 die Katholische Volksschule Bad Neuenahr. Er verfasste u.a. eine kleine Abhandlung über die Geschichte der Neuenahrer Volksschule und führte über seine Amtszeit hinweg eine exakte Schulchronik. Für den 15.12.1970 schrieb er: „Selbständige Grundschule – Mit Wirkung vom 1.12.1970 hat die Bezirksregierung Koblenz die Grundschule als selbständige Schule von der Volksschule Bad Neuenahr abgetrennt. Am heutigen Tage war um 16 Uhr meine offizielle Einführung als Leiter der Grundschule durch Schulrat Franz Stein und Schulrat Johannes Luxem.“ Für den 19.12.1970 notierte er: „Der Umzug ist vollzogen. Das Amtszimmer ist arbeitsbereit.“
Die Struktur der alten Volksschule hatte also 1970 ihr Ende gefunden, jedoch das alte Volksschulgebäude von 1907 diente nun der Grundschule als Heimstatt, währenddessen die neue Hauptschule in das Gebäude von 1964 an der Weststraße/Hemmesser Straße einzog.
Rektor Franz Deres leitete mit Konrektor Gisbert Nehls zunächst die Hauptschule Bad Neuenahr, wobei Gisbert Nehls später das Amt des Rektors übernahm.
In der Schulchronik gibt Rektor Josef Müller eine vielschichtige Innensicht in die Grundschularbeit. So besuchten im Schuljahr 1971/72 die Klassen 1 insgesamt 168 Kinder, verteilt auf vier Klassen. Infolge steigender Schülerzahlen und der damit verbundenen Raumknappheit errichtete man auf dem Schulhof sog. Pavillons, die als Schulräume dienten. Ein Pavillon, so der Eintrag in der Schulchronik am 3.9.1973 „soll auf einem städtischen Grundstück entlang der Turnhalle gegenüber der Schule aufgestellt werden.“
Nach der Zusammenlegung der Hauptschulen Bad Neuenahr und Ahrweiler in das Schulgebäude an der St. Piusstraße zog die Grundschule Bad Neuenahr 1989 komplett in das nun zur Verfügung stehende Gebäude an der Weststraße 27, das Volksschulgebäude von 1964 ist damit bis heute Heimstatt der Grundschulkinder. Die letzte Rektorin der Hauptschule Bad Neuenahr war Ulrike Sennlaub, die Nachfolger des 1978 pensionierten Rektors Josef Müller waren Anneliese Kischewski, Karl Hatwig, Klaus Kerber und Hubert Rieck.
Nutzung als Vereinshaus
Nach dem Auszug der Grundschule stand das so traditionsbeladene und geschichtsträchtige Gebäude leer und es gab ernstzunehmende Überlegungen eines Abrisses. Diese Pläne wurden schließlich verworfen, und so wurde aus der ehemaligen Volksschule eine Heimstatt für eine Vielzahl von Vereinen, die sich in den ehemaligen Klassenräumen einrichteten. Diese Beheimatung von traditionsreichen Neuenahrer Vereinen, z.B. der Bürgergesellschaft Wadenheim, dem Bürgerverein Beul, dem Turnverein TV 06, dem Männer- und Frauenchor (MFC) bereicherte durch die vielfältigen Aktivitäten das soziale und kulturelle Leben in diesem Stadtteil der Gesamtstadt Bad Neuenahr-Ahrweiler. Ein Attraktionspunkt für viele ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger unserer Stadt war der unter den Kastanienbäumen des alten Schulhofes stattfindende „Wadenheimer Klaff“. Zudem richtete man in den Folgejahren dort Räumlichkeiten für die Katholische Familienbildungsstätte Bad Neuenahr-Ahrweiler e.V. sowie die dritte Hortgruppe des Blandine-Merten-Hauses ein.
Exkurs: Lehrer, die wir hatten .…
Jeder, der schon einmal ein Klassentreffen besucht hat, weiß um die Wendung: „Weißt du noch, als unser Lehrer …? Schulgeschichten gab es und gibt es immer wieder, Erinnerungen an Mitschülerinnen und Mitschüler, Lehrerinnen und Lehrer, Hausmeister und Sekretärinnen, Personen aus der Schule und Persönlichkeiten, die über zum Teil viele Jahre hinweg in Geschichten, Anekdoten, Erinnerungen, bisweilen sehr subjektiven Schilderungen uns allen präsent sind und somit aus dem Dunkel der Vergangenheit herausgezogen werden. Menschen, die uns unterrichtet haben, die uns bisweilen zum Lachen oder Weinen gebracht haben, die uns beeindruckt, beeinflusst oder gar ein Stück weit geprägt haben. Im folgenden seien einige Namen von Lehrpersonen aus der Neuenahrer Volksschule genannt, die beim dem einen oder anderen Leser Erinnerungen wachrufen. Bemerkenswert war die Tatsache, dass viele dieser Pädagogen in Bad Neuenahr arbeiteten und zugleich dort lebten, gar in ihrer Stadt verwurzelt waren und bisweilen sogar hohes Ansehen genossen. Die Auswahl der folgenden Namen erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit: Lehrer Joh. Seb. Weller, Lehrer Peter Christian Knoblauch, Lehrer Höver, Lehrer Jakob Weyer, Lehrer Hans Laue, Lehrer Otto Kratz, Rektor Friedrich Weber, Rektor Külzer, Konrektor Josef Wilhelm, Oberlehrer Hugo Ostermann, Oberlehrer Aloys Schrandt, Fräulein Maria Esch, Rektor Reß, Hauptlehrer Kanngießer, Rektor Josef Müller, Rektor Franz Deres, Rektor Gisbert Nehls, Rektorin Anneliese Kischewski, Rektor Karl Hatwig.
Umbau zum Haus der Familie — Mehrgenerationenhaus
Aus dem Schulwesen lassen sich vielfach Rückschlüsse ziehen auf die Grundansichten der Menschen, das Familien- und Werteverständnis sowie die Anforderungen an Staat und Gesellschaft der jeweiligen Zeit. Das Schulwesen ist damit ein Spiegel der jeweiligen Gesellschaft, der Wertearchitektur sowie der politischen Herrschafts- und Staatsformen.
Den Weg zur heutigen Nutzung des Gebäudes initiierte zwar keine Schulreform, letztlich ausschlaggebend waren aber auch hier wiederum die gesellschaftlichen Veränderungen der heutigen Zeit und der damit verbundene zunehmende Wegfall der traditionellen Familienstrukturen. Unter Berücksichtigung dieser Entwicklungen sollte — auf Initiative der damaligen Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen — in jedem Landkreis in Deutschland ein sogenanntes Mehrgenerationenhaus entstehen. Mehrgenerationenhäuser in diesem Sinne sind keine generationsübergreifenden Wohnprojekte, sondern vielmehr öffentlich zugängliche Orte der Begegnung für Menschen aller Altersgruppen Sie sollen Raum bieten für gemeinsame Aktivitäten und bedarfsgerechte Angebote, wieder Verständnis füreinander schaffen und so helfen, ein neues nachbarschaftliches und generationenübergreifendes Miteinander aufzubauen. Mehrgenerationenhäuser sollen zentrale und gut vernetzte Anlaufstellen sein, die die soziale Infrastruktur vor Ort stärken, im Bedarfsfall Beratung und praktische Hilfe vermitteln und dabei möglichst freiwillig Engagierte aller Generationen in ihre Arbeit einbeziehen. Die mittlerweile über 500 in Deutschland entstandenen Mehrgenerationenhäuser unterscheiden sich dabei baulich wie auch inhaltlich hinsichtlich ihrer konkreten Ausgestaltung, Organisation, den jeweiligen Angeboten wie auch der Trägerschaft.
Auch im Kreis Ahrweiler sollte ein Mehrgenerationenhaus entstehen, und unter der Federführung der Kreisverwaltung Ahrweiler wurde — bei Beteiligung der Kirchen und der sozial aktiven Vereine, Verbände und Einrichtungen — ein entsprechender Informations- und Diskussionsprozess eingeleitet. Die Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler signalisierte dabei frühzeitig die Bereitschaft, sich hier zu engagieren, auch vor dem Hintergrund der zentralen Lage im Kreisgebiet und den vorhandenen Bevölkerungsstrukturen.
Die innerhalb der Stadtverwaltung gebildete Arbeitsgruppe favorisierte schnell das Gebäude der ehemaligen Grundschule Bad Neuenahr als Standort für das Mehrgenerationenhaus. Für das Gebäude wären ohnehin eine Vielzahl von Maßnahmen notwendig geworden, um es dauerhaft zu erhalten und sowohl baulich, technisch wie auch energetisch an die heutigen Anforderungen anzupassen. Die hierfür zu erwartenden erheblichen Kosten standen aber in keinem Verhältnis zu einer Fortsetzung der bisherigen Nutzung als reines Vereinsheim, zumal sich auch die tatsächliche Nutzung recht unterschiedlich darstellte. Neben teilweise recht intensiv genutzten Räumen wurden einige der früheren Klassenräume nur an wenigen Tagen im Monat tatsächlich genutzt, waren für einen einzelnen Verein überdimensioniert oder wurden nur als Lagerflächen verwendet.
Für einige der bisher in der alten Grundschule beheimateten Nutzer konnten andere Unterbringungsmöglichkeiten gefunden werden: So verfügt z.B. der Männer- und Frauenchor Bad Neuenahr (MFC) — durch den mit städtischer Unterstützung erfolgten Anbau an der Pfarrsaal der Katholischen Kirchengemeinde St. Marien und St. Willibrord Bad Neuenahr – zwischenzeitlich über eigene Räumlichkeiten. Der traditionsreiche Turnverein 06 Bad Neuenahr e.V. (TV 06) richtete seine Geschäftsstelle vorübergehend in einer städtischen Liegenschaft ein, bis durch die nun vorgesehene Baumaßnahme an der Sporthalle der heutigen Grundschule auch hier vereinseigene Räume geschaffen werden können. Ein weiteres Beispiel sind auch die Bürgergesellschaften Wadenheim und Beul, die neue Geschäftsräume in einer ehemaligen städtischen Wohnung eingerichtet haben. Die Hortgruppe und die Familienbildungsstätte wurden in die neue Nutzung integriert. Darüber hinaus wird natürlich auch das neue Haus der Familie – Mehrgenerationenhaus viele Nutzungsmöglichkeiten für die Vereine bieten.
Mit der neuen Nutzung konnten zudem aber auch weitere Probleme gelöst werden. So drohte der evangelischen Kindertagesstätte in Bad Neuenahr aufgrund der baulichen wie auch finanziellen Situation die Schließung. Die evangelische Kirchengemeinde Bad Neuenahr zeigte sich nach entsprechenden Gesprächen bereit, die Betreuungseinrichtung als Träger in einem städtischen Gebäude zweigruppig fortzuführen. Für die bisher nur provisorisch eingerichtete Hortgruppe konnte eine räumlich attraktive Lösung gefunden werden, und auch die Zusammenlegung der beiden Standorte der katholischen Familienbildungsstätte dürfte zu wesentlichen Verbesserungen führen. Diese weiterhin rechtlich selbstständigen Einrichtungen wurden baulich und inhaltlich rund um einen multifunktional ausgelegten Kernbereich im 1. Obergeschoss des Gebäudes gruppiert und damit auch in das Gesamtkonzept integriert.
Am 29. Oktober 2009 wurde eine Kooperationsvereinbarung abgeschlossen, mit der sich der Kreis Ahrweiler und die Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler sowie mit der evangelische Kirchengemeinde Bad Neuenahr — als Träger der Kindertagesstätte — und der katholische Familienbildungsstätte Bad Neuenahr-Ahrweiler e.V. auch Vertreter der beiden großen christlichen Kirchen zu einer Zusammenarbeit im Sinne der Zielrichtung der Einrichtung verpflichteten.
Durch die unter Berücksichtigung der Gestaltungssatzung für den Stadtteil Bad Neuenahr erfolgte Sanierung und Erweiterung konnte einerseits der Charme des alten Gebäudes erhalten und dieses andererseits auf seine neue Verwendung vorbereitet werden. Dies ist besondere den beiden Bad Neuenahrer Architekten Werner und Michael Unger zu verdanken, die mit der Verbindung von Architektur, Fachkenntnis sowie Heimatverbundenheit über das notwendige Fingerspitzengefühl für die Baumaßnahme verfügten. Durch die umfassende bauliche und technische Sanierung sowie die Ausstattung mit einer modernen Hackschnitzelheizung können auch die Vorgaben der aktuellen Energieeinsparverordnung 2009 (EnEV) eingehalten werden.
Das Gebäude ist nunmehr weiterhin ein Ort für Betreuungs- und Bildungsangebote, aber auch für die Begegnung, Beratung, Hilfe und das Miteinander der Generationen. Mit den Umbaumaßnahmen wurde zunächst eine entsprechende Infrastruktur geschaffen. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob auch die Menschen bereit sind, sich hier einzubringen, ehrenamtlich zu engagieren und damit die neue Einrichtung auch mit Leben zu füllen.
Ob die heutige Nutzung damit das letzte Kapitel in der wechselvollen Geschichte des Gebäudes ist, bleibt abzuwarten. Man kann aber zuversichtlich sein, dass mit den erfolgten Sanierungsmaßnahmen ein sinnvoller Erhalt des Gebäudes für die nächsten Jahrzehnte sichergestellt werden konnte.
Bad Neuenahr-Ahrweiler, Januar 2010
Hubert Rieck, Rektor der Grundschule Bad Neuenahr
Gregor Terporten, Mitarbeiter der Stadtverwaltung Bad Neuenahr-Ahrweiler
Unser herzlicher Dank gilt Herrn Steffen Schütze vom Stadtarchiv Bad Neuenahr-Ahrweiler. Ferner danken wir herzlich Herrn Hans-Jürgen Ritter, dessen Privat-Archiv wir einsehen durften. Des weiteren gebührt ein herzlicher Dank Herrn Horst Felten, dessen Sammlung der Ahrweiler Nachrichten wir auswerten durften.